Direktabrechnung - Nicht immer bleiben nur die guten Dinge
Alter Konflikt in neuem Gewande: Direktabrechnung und das spannungsreiche Verhältnis zwischen Versicherern und Ärzten.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen bringt Erleichterungen und Fortschritte für Patienten und Ärzte gleichermaßen. Sie hilft bei der Erkennung und Behandlung von Krankheiten, bei der Praxisorganisation, bei notwendigen Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben und verhilft damit zu mehr Transparenz und Prozesskostenersparnissen. Und doch - trotz aller Modernität - treten nun alte Konflikte zu Tage, die lange schon beerdigt schienen. Das Stichwort lautet „Direktabrechnung“.
Was manchem Patienten oder Arzt unter dem Schlagwort der „Direktabrechnung“ vielleicht zukunftsweisend, praktisch und bequem erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen auch als Chance der privaten Krankenversicherer, endlich „vom Payer zum Player“ zu werden - und damit als eine echte Gefahr für die Zukunft eines freien, von Weisungen unabhängigen, Arztberufes in Deutschland. Die „Direktabrechnung“ ist im normalen ärztlichen Verständnis nämlich das Recht, die eigene Leistung „direkt“ und entsprechend der Gebührenordnung gegenüber dem Patienten in Rechnung stellen zu dürfen und eben nicht gegenüber einer KV nur Leistungspunkte zu melden, um dann auf einen fairen Anteil hoffen zu müssen. Seine Leistung ist wie erbracht zu vergüten – losgelöst von der Frage, was der Patient - ggf. auch aufgrund von Einschränkungen in seinem Versicherungsvertrag – von seinem Kostenträger erstattet bekommt.
Im Verständnis manch privater Krankenversicherung und auch im politischen Raum wird die „Direktabrechnung“ dagegen oftmals ganz anders verstanden. Nach diesem Verständnis sollen – so wie es schon heute gem. §192 Abs. 3 Nr. 5 VVG im stationären Bereich flächendeckend praktiziert wird - die Leistungen des Arztes zukünftig „direkt“ und ohne „Umweg“ einer Rechnung für den Patienten an die private Versicherung des Patienten übermittelt und dann direkt von der Versicherung die übermittelten ärztlichen Leistungen an die Praxis bezahlt werden. Noch handelt es sich um ein fakultatives Angebot einzelner privater Krankenversicherungen in den gerade entstandenen und in den Kinderschuhen steckenden Patientenportalen. Noch kann der Arzt entscheiden, ob er sich für diese Portale als „E-Rechnungs-Arzt“ einschreiben lassen will. Noch!
Was als Ausnahme von der Regel als Möglichkeit im stationären Bereich vielleicht Sinn macht und „unbürokratisch“ klingt, weil es im besten Falle den Verzicht auf die „lästige“ Rechnungserstellung beim Arzt und die Verauslagung und Erstattung durch die Versicherung beim Patienten verspricht, erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch als „trojanisches Pferd“. Dabei muss man gar nicht zurück bis in die Antike gehen, um den historischen Konflikt zu erkennen, der vor gut einhundert Jahren bereits einer der wesentlichen Gründe war, warum sich freie Ärztinnen und Ärzte zur Gemeinschaft der privatärztlichen Verrechnungsstellen zusammengefunden haben. Auch damals sah sich der einzelne Arzt als Spielball einer schier übermächtigen Marktmacht von Kassen- und Versicherungsunternehmen. So schrieb Fritz Ballhorn in seiner Dissertation „Die Ärztlichen Verrechnungsstellen für die Privatpraxis“ bereits im Mai 1931 (!) über die Notwendigkeit der Gründung einer PVS:
„Einmal wollen sie dem Arzt die Arbeit und Mühe abnehmen, die für ihn mit der Einziehung seines Honorars verbunden ist, und ihn freimachen für seinen eigentlichen ärztlichen Beruf. Zweitens wollen sie der Ärzteschaft eine angemessene Bezahlung ihrer Tätigkeit sichern. Durch Bestimmung von festen Gebührensätzen einerseits, durch die korporative Aufnahme von ganzen Ärztevereinigungen andererseits sind sie bestrebt, die Unterbietung zwischen den Ärzten untereinander auszuschließen. Ihr Ziel ist es dabei auch, den Druck abzuwehren, den die sogenannten Mittelstandsversicherungen auf den Arzt ausüben. Die Privatversicherungsgesellschaften, bei denen sich der heute verarmte Mittelstand gegen Krankheit versichert hat, versuchen oft auf Veranlassung der Versicherungsnehmer, den Arzt dazu zu veranlassen, sich unter Aufgabe eines Teiles des ihm zustehenden Honorars mit den Beträgen zu begnügen, die die versicherten Kranken von den Versicherungsgesellschaften ersetzt erhalten.“
Denn damals wie heute ist es genau diese „Mittlerstellung“, die den niedergelassenen Bereich davor schützen kann, nicht auch im privatärztlichen Bereich in ähnlicher Weise zwischen „Mahlsteinen“ zerrieben zu werden, wie wir das bereits im GKV-Bereich erleben können. Denn: Natürlich wäre es grundsätzlich möglich, auch für ambulante Leistungen eine Direktabrechnung zu vereinbaren.
Bliebe es jedoch lediglich dabei, dass die Rechnung des Arztes anstatt an den Versicherten, direkt an seine Versicherung geschickt würde, ergäbe sich kein Vorteil – im Gegenteil wären Abtretungserklärungen und Mechanismen zum Schutz vor Doppelleistungen zu schaffen. Zudem müssten rechtliche und organisatorische Lösungen für Beihilfeberechtigte gefunden werden. Denn auf die „dienstliche Erklärung“ des Beihilfeberechtigten, dass die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung vorliegen, können die Beihilfeträger nicht verzichten.
Ein System, das mit Hilfe der neuen digitalen Möglichkeiten also Entbürokratisierung verspricht, dürfte am Ende sogar noch mehr an Aufwand und eine Vervielfachung der Zahlungsströme und rechtlich notwendigen Erklärungen zwischen Ärzten, Beihilfestellen und Patienten erzeugen. Wer dagegen versprechen will, dass man sich doch die „lästige“ Rechnungsstellung zumindest für die vollversicherten Privatpatienten sparen könnte und stattdessen direkt die privaten Leistungen an ihre private Krankenversicherung melden könnte, die dann „ganz unbürokratisch und direkt zahlt“, verrät nicht nur das Vertrauen seiner Patienten, sondern auch seine eigenen Interessen als Arzt. Denn so klar, wie es schon 1931 Dr. Ballhorn herausgearbeitet hat, besteht der Grundkonflikt in seinem Kern auch bald 100 Jahre später immer noch:
Sobald der einzelne Arzt unmittelbar der Marktmacht einer Krankenversicherung gegenübersteht, wird diese im eigenen wirtschaftlichen Interesse versuchen, die Erstattungsbeträge für Leistungen zu „optimieren“. Das Argument von Effizienz und die Hoffnung auf geringere Prämien erweist sich dabei insoweit auch als vorgeschoben, als dass die mit einer Direktabrechnung verbundenen höheren Verwaltungsaufwände von den Versicherern dann als Abzugspositionen bei den Ärzten liquidiert würden, wenn höhere Prämien vermieden werden sollen. Mehr noch: Es ist anzunehmen, dass aus der Option für die Direktabrechnung dann eine Pflicht werden könnte, wenn sich erst genügend Ärzte und Patienten für das Verfahren entschieden haben und somit die Verwaltungsaufwände für Erstattungsverfahren im klassischen Sinne für die dann übriggebliebenen, der Direktabrechnung widerstehenden, Patienten und Ärzte nicht mehr zu rechtfertigen wären.
Eine sachliche Notwendigkeit dieser Form der „Direktabrechnung“ im privatärztlichen, ambulanten Bereich gibt es nicht. Weder besteht ein erhöhtes Inkassorisiko, noch ist in der Beschleunigung der Abläufe und damit einem schnelleren Liquiditätszufluss irgendein Vorteil zu erkennen, wird dies doch schon heute über die intelligente Steuerung von Zahlungszielen und die Option von Vorauszahlungen über die PVS erreicht. Auch die unkomplizierte Einreichung von Rechnungen mittels mobiler Applikationen ist bereits ein erprobter Standard (und nebenbei bemerkt, ein von der PVS entwickelter). Das Hin- und Her von Papier ist vor diesem Hintergrund also schon heute eher ein Auslaufmodell als eine Problemstellung, für die es grundsätzliche Lösungen zu finden gilt. Entscheidend ist aber noch etwas anderes: Nämlich das Verständnis davon, welche Rolle dem Patienten im Geschehen zugebilligt wird.
Bislang ist der Patient der eigentliche „Souverän“. Er erhält eine vollständige Transparenz über die Leistungen, die er in Anspruch genommen hat. Er bestimmt allein, welche Informationen Versicherer oder Dienstherr erhalten sollen. Er ist Vertragspartner sowohl seiner privaten Krankenversicherung als auch seines Arztes. Kurz: Er entscheidet.
„Vom Payer zum Player“ verweist jedoch auf eine grundsätzlich andere, eine paternalistische Sicht auf den Patienten, aber auch den Arzt.
Machen wir uns nichts vor: Die Verheißungen von „elektronischen Versichertenkarten“, „Gesundheitsapps“ usw. können schnell dazu führen, dass Stimmen lauter werden, die ein „Recht“ der Privatpatienten zur direkten Abrechnung des Arztes mit seiner Versicherung einfordern wollen. Über diesen Umweg könnte jedoch schnell aus dem „Recht“ eine „Pflicht“ des niedergelassenen Arztes werden, die „bürokratische“ Rechnung durch eine „unbürokratische“ Übermittlung seiner ärztlichen Leistungen an die Versicherung zu ersetzen – ihm aber damit faktisch den Einfluss auf seine eigene Honorierung zu beschneiden. Nichts würde das Ende des Arztberufes als einen Freien Beruf deutlicher dokumentieren als dies.
Stefan Tilgner, PVS Verband - Berlin